Meine erste Klausur...
Liebes Franz,
heute schreibe ich Dir, wie so ein ganz "typischer" Tag bei mir aussieht!
Naja, er beginnt eigentlich ziemlich unspektakuär, denn nachts schlafe ich für gewöhnlich...
Nicht jedoch heute! Ich habe noch bis halb drei Uhr morgens an meinen Unterrichtsvorbereitungen gesessen, denn ich schreibe in meinem Verfassungsrechtskurs die Abschlussklausur ( ich nenne sie mal konkretes Normenkontrollverfahren ), und wir wollen gleich im Anschluss mit Bürgerlichem Recht beginnen.
Ich bin wahrscheinlich nervöser als die Studenten selbst und schlafe nicht sehr gut.
Nichtsdestotrotz klingelt mein Handywecker pünktlich um halb zehn. Ich stapfe zur Dusche, stecke mir 2 Reggelt - Kekse in den Mund und eine köstliche Zitronenbrausepulvertablette in ein Glas Wasser. Dann schnapp ich mir mein Fahrrad und radel bergauf Richtung Philosophische Fakultät.
Dort habe ich mitwochs ab 10 Uhr Sprechstunde. Naja, eigentlich eher Ruhestunde, denn bisher hat sich noch nie ein Student zu mir verirrt. Ich teile mir aber das Büro mit drei sehr netten Kollegen und wir packen alle unsere Reggelt - Kekse aus und ich schlürfe noch ein Glas Zitronenbrause. Unser Büro ist total gemütlich, mit Sesseln aus den 70ern, sehr vielen Pflanzen und noch mehr Büchern, die in hohen Stapeln überall wild verteilt liegen.
Lehel und Erika unterrichten beide Literatur und ihre Studenten bilden oft Warteschlangen vor unserer Tür.
Nicht so bei mir.
Wenn ihre Studenten neugierig rüberblicken, was der neue Boschlektor so macht, dann kaue ich etwas leiser meine Kekse weiter und versuche, möglichst vielbeschäftigt in meine 4 Wochen alten Unterlagen zu starren.
Dann schaue ich noch kurz in der Bibliothek vorbei, ob mein Handapparat am gewohnten Platz steht. Er tut es.
Um halb zwölf komme ich dann aber richtig in Fahrt. Ich fahre zurück nach Hause, schnappe mir schnell meine Unterlagen und radel ( diesmal bergabwärts ) weiter an das andere Ende der Stadt, wo die Juristische Fakultät liegt.
Ich bin wie immer ziemlich spät dran, gehe direkt in mein Büro, dritter Stock, Zimmer 328. Ich drücke flüchtig meiner sehr lieben ( französischen )Kollegin Anne zwei bisous auf die Wangen, dann kopiere ich schnell meine Klausuren und Arbeitspapiere. Pünktlich um halb eins mache ich mich auf in Richtung Hörsaal.
Mittwochs unterrichte ich immer im großen Hörsaal - das ist ein bißchen lächerlich, weil wir nur zwölf Leute sind. Aber seitdem mir meine Studenten nach 7 ( ! ) Wochen mitgeteilt haben, dass mein Kurs laut ( ungarischem ) Vorlesungsverzeichnis eine "Vorlesung" ist, wundert mich gar nichts.
Vor dem Hörsaal erwische ich Zsofiá dabei, wie sie noch eiligst ein paar Anmerkungen in ihr Grundgesetz kritzelt. Das macht aber erstmal gar nichts, denn just in der Minute, in der ich die Sachverhalte austeile ertönt ein ziemlich häßliches Geräusch von draußen.
Ich habe einige Mühen, meine Studenten davon zu überzeugen, dass wir wohl Feueralarm haben und dass es vielleicht besser sei, das Gebäude zu räumen.
Die nächsten 5 Minuten verbringen wir wie alle anderen im Foyer und warten bis jemand die Notausgänge öffnet - sie sind nämlich verschlossen! Draußen führe ich meine Schutzbefohlenen weg vom Pulk auf den Campus. Ich möchte, dass wir zusammenbleiben - mein Fürsorgegefühl rührt auch daher, dass die Studenten die Klausur noch in der Hand halten und zu tuscheln beginnen.
Sie sind überhaupt etwas nervös. Die Aufgaben hätten wir so im Unterricht gar nicht behandelt. Ich sage ihnen, dass sie absolut Recht haben ( komischerweise macht sie das nur umso nervöser ), dass sie aber anhand des erlernten Wissens imstande sein müssten, alle Antworten selbst herzuleiten.
Jetzt bin ich ein bißchen angespannt. Vorsichtshalber erkäre ich ihnen mit anschaulichen Gesten, wie Legitimationsketten aufgebaut sind. Für die Umherstehenden muss dies ein Bild aus dem "Club der toten Dichter" abgeben. Da steht der német jogi szaklektor mit ausufernden Armen wie ein Fels in der Brandung, während um ihn herum alles in Schutt und Asche versinkt. Allein seine Studenten stehen im Halbkreis um ihn herum und hängen noch in der Stunde ihres Todes unbeirrt und wissbegierig an seinen Lippen.
Keine 10 Minuten später trotten wir allerdings ernüchtert zum Saal zurück und schreiben die Klausur.
Ich korrigiere in der Zwischenzeit meine ersten Tests aus dem Sachenrechtskurs mit schwarzer Tinte - Anfängerfehler...
Nach 40 Minuten sammle ich die Klausuren ein und wir widmen uns direkt dem Bürgerlichen Recht, Allgemeiner Teil. Hier muss ich erfahren, dass 2/3 der Studenten noch niemals Bürgerliches Recht ( auf ungarisch ) gehört haben, weil es seit letztem Jahr erst im 4. Studienjahr unterrichtet werde. Diesmal werde ich nervös und ich ahne schon, dass mich das eine lange Arbeitsnacht kosten wird...
Mit einem letzten Aufbeugen lasse ich noch abstimmen, ob ich nicht den Rest des Semesters dann besser Strafrecht unterrichten solle - aber das Plenum entscheidet, dass ich die geeignete Person sei, ihnen sämtliche Basics zum Lösen von Zivilrechtsfällen beizubringen. Meine Nachtschicht wird damit zur Gewissheit!
Etwas gefrustet gehe ich aus dem Unterricht heraus, wieder zurück zum Büro. Anne fragt mich, ob dieser Alarm echt gewesen sei, sie hätte nicht sehr viel mitbekommen, weil irgendjemand die Tür zu unserem Gang einfach abgeschlossen hätte :-)
Dann tritt noch Laszlo ein und shakert mit Anne ( "Ponnnjuur" ). Er ist wirklich sehr, sehr knuffig - schon länger im Ruhestand, unterrichtet aber noch zwei Juristendeutschkurse, um sich seine Rente aufzubessern. Leider ist er extrem schwerhörig und so ist ein vernünftiges Gespräch mit ihm nicht möglich.
Ich kopiere noch schnell zwei Songtexte für meinen morgigen Landeskundekurs, dann muss ich auch schon wieder weiter - bergauf zurück zur Philosophischen Fakultät.
Hier probt meine Theatergruppe heute außerplanmäßig. Wir nehmen nächste Woche an einem Theaterfestival in Osijek ( Kroatien ) teil, und die Texte sitzen noch nicht. Leider ist Csaba [ sprich: Tschoabboa ] irgendwo auf Kreta verschollen und so muss ich wohl kurzfristig in die Rolle des Saint Ouen [ bei uns allerdings Santon, alles andere war für ungarische Zungen nicht aussprechbar ] schlüpfen.
Ich gestehe sofort, dass ich nicht imstande bin, nur irgendetwas von dem, was ich an ihrem Schauspiel bis dato kritisiert hatte, auch nur im Anfluge besser hinzubekommen.
Dann muss ich feststellen, dass ausgerechnet Santon das intrigante, böse Schwein ist, das am Ende des Stückes ( zu Recht ) umgebracht wird. Mangels Degens nicht einmal im Rahmen eines ausgewogenen Duells, sondern ohne jegliche Gegenwehr per Bauch- und ( zur Sicherheit ) Kopfnachschuss.
Diese Umstände tragen nicht gerade dazu bei, meine darauf folgende dreistündige Bühnenperformance im Ansatze erträglicher zu machen.
Später fragt Dóri, ob ich noch Lust habe, auf ein Konzert mitzukommen. In einem Studentenclub wollten sie zu transsylvanischer Musik tanzen gehen.
Ich schüttle traurig den Kopf und denke an meinen morgigen BGB-und Landeskundekurs.
Im Sommer bin ich auf die glorreiche Idee gekommen, dass ich ( !!! ) doch in Unterrichtseinheit 9 den ( Germanistik!!! ) Studenten etwas über das aktuelle Literatur- und Kunstgeschehen in Deutschland vermitteln könne.
Und so sitze ich noch bis 4 Uhr morgens am PC und bastel Fotopostkarten zu zeitgenössischer Kunst und Architektur... wie schön!
heute schreibe ich Dir, wie so ein ganz "typischer" Tag bei mir aussieht!
Naja, er beginnt eigentlich ziemlich unspektakuär, denn nachts schlafe ich für gewöhnlich...
Nicht jedoch heute! Ich habe noch bis halb drei Uhr morgens an meinen Unterrichtsvorbereitungen gesessen, denn ich schreibe in meinem Verfassungsrechtskurs die Abschlussklausur ( ich nenne sie mal konkretes Normenkontrollverfahren ), und wir wollen gleich im Anschluss mit Bürgerlichem Recht beginnen.
Ich bin wahrscheinlich nervöser als die Studenten selbst und schlafe nicht sehr gut.
Nichtsdestotrotz klingelt mein Handywecker pünktlich um halb zehn. Ich stapfe zur Dusche, stecke mir 2 Reggelt - Kekse in den Mund und eine köstliche Zitronenbrausepulvertablette in ein Glas Wasser. Dann schnapp ich mir mein Fahrrad und radel bergauf Richtung Philosophische Fakultät.
Dort habe ich mitwochs ab 10 Uhr Sprechstunde. Naja, eigentlich eher Ruhestunde, denn bisher hat sich noch nie ein Student zu mir verirrt. Ich teile mir aber das Büro mit drei sehr netten Kollegen und wir packen alle unsere Reggelt - Kekse aus und ich schlürfe noch ein Glas Zitronenbrause. Unser Büro ist total gemütlich, mit Sesseln aus den 70ern, sehr vielen Pflanzen und noch mehr Büchern, die in hohen Stapeln überall wild verteilt liegen.
Lehel und Erika unterrichten beide Literatur und ihre Studenten bilden oft Warteschlangen vor unserer Tür.
Nicht so bei mir.
Wenn ihre Studenten neugierig rüberblicken, was der neue Boschlektor so macht, dann kaue ich etwas leiser meine Kekse weiter und versuche, möglichst vielbeschäftigt in meine 4 Wochen alten Unterlagen zu starren.
Dann schaue ich noch kurz in der Bibliothek vorbei, ob mein Handapparat am gewohnten Platz steht. Er tut es.
Um halb zwölf komme ich dann aber richtig in Fahrt. Ich fahre zurück nach Hause, schnappe mir schnell meine Unterlagen und radel ( diesmal bergabwärts ) weiter an das andere Ende der Stadt, wo die Juristische Fakultät liegt.
Ich bin wie immer ziemlich spät dran, gehe direkt in mein Büro, dritter Stock, Zimmer 328. Ich drücke flüchtig meiner sehr lieben ( französischen )Kollegin Anne zwei bisous auf die Wangen, dann kopiere ich schnell meine Klausuren und Arbeitspapiere. Pünktlich um halb eins mache ich mich auf in Richtung Hörsaal.
Mittwochs unterrichte ich immer im großen Hörsaal - das ist ein bißchen lächerlich, weil wir nur zwölf Leute sind. Aber seitdem mir meine Studenten nach 7 ( ! ) Wochen mitgeteilt haben, dass mein Kurs laut ( ungarischem ) Vorlesungsverzeichnis eine "Vorlesung" ist, wundert mich gar nichts.
Vor dem Hörsaal erwische ich Zsofiá dabei, wie sie noch eiligst ein paar Anmerkungen in ihr Grundgesetz kritzelt. Das macht aber erstmal gar nichts, denn just in der Minute, in der ich die Sachverhalte austeile ertönt ein ziemlich häßliches Geräusch von draußen.
Ich habe einige Mühen, meine Studenten davon zu überzeugen, dass wir wohl Feueralarm haben und dass es vielleicht besser sei, das Gebäude zu räumen.
Die nächsten 5 Minuten verbringen wir wie alle anderen im Foyer und warten bis jemand die Notausgänge öffnet - sie sind nämlich verschlossen! Draußen führe ich meine Schutzbefohlenen weg vom Pulk auf den Campus. Ich möchte, dass wir zusammenbleiben - mein Fürsorgegefühl rührt auch daher, dass die Studenten die Klausur noch in der Hand halten und zu tuscheln beginnen.
Sie sind überhaupt etwas nervös. Die Aufgaben hätten wir so im Unterricht gar nicht behandelt. Ich sage ihnen, dass sie absolut Recht haben ( komischerweise macht sie das nur umso nervöser ), dass sie aber anhand des erlernten Wissens imstande sein müssten, alle Antworten selbst herzuleiten.
Jetzt bin ich ein bißchen angespannt. Vorsichtshalber erkäre ich ihnen mit anschaulichen Gesten, wie Legitimationsketten aufgebaut sind. Für die Umherstehenden muss dies ein Bild aus dem "Club der toten Dichter" abgeben. Da steht der német jogi szaklektor mit ausufernden Armen wie ein Fels in der Brandung, während um ihn herum alles in Schutt und Asche versinkt. Allein seine Studenten stehen im Halbkreis um ihn herum und hängen noch in der Stunde ihres Todes unbeirrt und wissbegierig an seinen Lippen.
Keine 10 Minuten später trotten wir allerdings ernüchtert zum Saal zurück und schreiben die Klausur.
Ich korrigiere in der Zwischenzeit meine ersten Tests aus dem Sachenrechtskurs mit schwarzer Tinte - Anfängerfehler...
Nach 40 Minuten sammle ich die Klausuren ein und wir widmen uns direkt dem Bürgerlichen Recht, Allgemeiner Teil. Hier muss ich erfahren, dass 2/3 der Studenten noch niemals Bürgerliches Recht ( auf ungarisch ) gehört haben, weil es seit letztem Jahr erst im 4. Studienjahr unterrichtet werde. Diesmal werde ich nervös und ich ahne schon, dass mich das eine lange Arbeitsnacht kosten wird...
Mit einem letzten Aufbeugen lasse ich noch abstimmen, ob ich nicht den Rest des Semesters dann besser Strafrecht unterrichten solle - aber das Plenum entscheidet, dass ich die geeignete Person sei, ihnen sämtliche Basics zum Lösen von Zivilrechtsfällen beizubringen. Meine Nachtschicht wird damit zur Gewissheit!
Etwas gefrustet gehe ich aus dem Unterricht heraus, wieder zurück zum Büro. Anne fragt mich, ob dieser Alarm echt gewesen sei, sie hätte nicht sehr viel mitbekommen, weil irgendjemand die Tür zu unserem Gang einfach abgeschlossen hätte :-)
Dann tritt noch Laszlo ein und shakert mit Anne ( "Ponnnjuur" ). Er ist wirklich sehr, sehr knuffig - schon länger im Ruhestand, unterrichtet aber noch zwei Juristendeutschkurse, um sich seine Rente aufzubessern. Leider ist er extrem schwerhörig und so ist ein vernünftiges Gespräch mit ihm nicht möglich.
Ich kopiere noch schnell zwei Songtexte für meinen morgigen Landeskundekurs, dann muss ich auch schon wieder weiter - bergauf zurück zur Philosophischen Fakultät.
Hier probt meine Theatergruppe heute außerplanmäßig. Wir nehmen nächste Woche an einem Theaterfestival in Osijek ( Kroatien ) teil, und die Texte sitzen noch nicht. Leider ist Csaba [ sprich: Tschoabboa ] irgendwo auf Kreta verschollen und so muss ich wohl kurzfristig in die Rolle des Saint Ouen [ bei uns allerdings Santon, alles andere war für ungarische Zungen nicht aussprechbar ] schlüpfen.
Ich gestehe sofort, dass ich nicht imstande bin, nur irgendetwas von dem, was ich an ihrem Schauspiel bis dato kritisiert hatte, auch nur im Anfluge besser hinzubekommen.
Dann muss ich feststellen, dass ausgerechnet Santon das intrigante, böse Schwein ist, das am Ende des Stückes ( zu Recht ) umgebracht wird. Mangels Degens nicht einmal im Rahmen eines ausgewogenen Duells, sondern ohne jegliche Gegenwehr per Bauch- und ( zur Sicherheit ) Kopfnachschuss.
Diese Umstände tragen nicht gerade dazu bei, meine darauf folgende dreistündige Bühnenperformance im Ansatze erträglicher zu machen.
Später fragt Dóri, ob ich noch Lust habe, auf ein Konzert mitzukommen. In einem Studentenclub wollten sie zu transsylvanischer Musik tanzen gehen.
Ich schüttle traurig den Kopf und denke an meinen morgigen BGB-und Landeskundekurs.
Im Sommer bin ich auf die glorreiche Idee gekommen, dass ich ( !!! ) doch in Unterrichtseinheit 9 den ( Germanistik!!! ) Studenten etwas über das aktuelle Literatur- und Kunstgeschehen in Deutschland vermitteln könne.
Und so sitze ich noch bis 4 Uhr morgens am PC und bastel Fotopostkarten zu zeitgenössischer Kunst und Architektur... wie schön!
phisch78 - 10. Nov, 15:38