Das Wunder von Pécs
Liebes Tagebuch,
es bleibt Herbst in Pécs. Die Temperaturen liegen bei gut 20 Grad und das Semester neigt sich dem Ende zu - es ist die Zeit gekommen, die Ernte einzufahren. Die Klausuren im Verfassungsrecht, Bürgerlichen Recht und Landeskunde sind schon geschrieben, Sachenrecht folgt am Montag.
Über die Juristen habe ich mich schon ganz schön gefreut. Deutsche Falllösungsmethodik, Gutachtenstil und Abstraktionsprinzip scheinen nun endlich zu sitzen. Wir haben uns die ersten Wochen so schwer damit getan, und jetzt formulieren sie schließlich doch noch einwandfrei.
Am meisten Freude habe ich bei der Bewertung "Prima Arbeit, glatte 5" ( was hier allerdings die Bestnote ist )!
Der Hammer ist allerdings mein Landeskundekurs bei den Germanisten! Ich habe mich am Anfang so oft über sie und ihre mangelhaften Fähigkeiten geärgert, dass ich sie schon abgeschrieben hatte. Und siehe da, kaum sind Politik, Geschichte und Soziales abgehakt, tauen sie langsam auf.
Sie sprechen von Woche zu Woche deutlich besser, was kein Wunder ist, denn sie haben jeden Tag Aussprache-, Grammatik- und Konversationskurse. Seit drei Wochen sitzen wir nur noch im Kreis, malen Plakate und diskutieren über alle möglichen Themen anhand von Fotopostkarten, die ich in Massen aus dem Internet ziehe.
Und dann werden sie ganz zutraulich, erzählen Dir von ihren Wünschen, Zukunftsplänen, Träumen, und Du hast das Gefühl, ihnen ganz nahe zu sein. Die großen, verängstigten Augen aus ihren ersten Wochen in der neuen Welt der Universität sind verschwunden, sie werden souveräner, frecher und diskussionsfreudiger.
Das ändert nichts daran, dass ein großer Teil von ihnen es nicht einmal zur Grundprüfung schaffen wird. Ihre guten Dorfschulabschlüsse haben ihnen oft nur die Illusion eines Hochschulabschlusses vermittelt. Das ungarische Hochschulsystem wird sie nicht fragen, ob sie Texte erörtern oder interpretieren können, es wird sie eiskalt an den Sprachprüfungen messen.
Ich begnüge mich damit, dass sie doch noch etwas aus meinem Unterricht mitgenommen haben, was folgende Beispiele aus den Klausuren hinreichend belegen:
1. zu den alliierten Besatzungszonen gehören:
"Ostdeutschland, Norddeutschland und Ruhrgebiet", was an sich ja gar nicht mal so falsch ist... :-)
2. zu den Staatsstrukturen gehören:
a) Republik, "weil das Parlament mehrere Präsidenten hat und das Staatsoberhaupt heißt Wilhelm Pieck" :-)
b) Sozialstaat, "weil sie versuchen, die soziale Unterschiede zu vergleichen" :-)
3. Unser Grundgesetz, das 1989 ausgegeben wurde
4. "Dieses Planwirtschaft ist, wenn Russland entscheidet, was man und wieviel man davon produzieren darf" ( und ich den stillen Vorwurf herauslas, warum ich UNGARISCHE Studenten im DEUTSCHEN Landeskundkurs mit SO ETWAS behelligen müsse :-)
5. Das so genannte Wirtschaftswunder:
a) "Alle Menschen lebten gleich. Jeder hatte Standheizung, es wurden Hochhäuser gebaut, Autos wurden gebaut, mehr Bahnen wurden gebaut. Aber die Menschen wollten noch mehr, aber das konnten sie nicht durchführen"
b) "Die Menschen bekommen Bäuche und sie machen Toskana - Urlaub".
6. Warum man Deutschland ein multikulturelles Land nennen kann?
Klar: "Deutschland ist ein sich schnell entwickeltes Land. Es hat sehr viele Großstädte, die die ganze Welt kennt. Es hat kulturelle Städte. Wie zum Beispiel das Ruhrgebiet was man zur kulturellen Stadt gemacht hat"
oder:"Die Kulturei ist entwickelt. In Deutschland gibt es viele Sehenswürdigkeiten. Z.Beispiel: Opernhaus, Schauspielhaus, Kulturhaus, viele Hochschule und Universität, z.B. Hochschule für Musik usw. viele Museum. Berühmt auch: Lübecker Marzipan. Viele berühmte Kirche." :-)
7. Eine der wichtigsten Einwanderungsphasen nach Deutschland war sicherlich die berühmte Imigrationswelle "der europäischen Studenten in den 70er"-Jahren. :-) Oder war es die der Russen in den 60ern während des Wirtschaftswunders?
8. Warum Deutschland nach wie vor Einwanderer braucht, ist auch glasklar: "Die Gastarbeiter arbeiten billiger als die deutschen; wenn zum Beispiel türken einwanderern, dann wird es mehr türken in einer Stadt oder strasse geben, und sie werden sich nicht fremd fühlen, und sie werden immer türken anlocken" :-)
"Sie arbeiten in Dl. aber sie bekommen keinen Versicherung und Renten
-> deshalb sind sie für Staat gut"
Ich gebe zu, dass dies sehr gemein ist, denn eigentlich habe ich nur noch drei schwarze Schafe, die mir Kopf- und Bauchmuskelzerbrechen bereiten... Insgesamt habe ich viele gute und sehr gute Arbeiten korrigieren dürfen, ich wundere mich nur manchmal, wie einige es schaffen, so wenige ( und dann noch solch falsche ) Informationen aus 90 Minuten Unterricht herauszuziehen.
Insgesamt aber die Erkenntnis: Mein Landeskundekurs, er lebt ( und lebe )!
Hurra!
es bleibt Herbst in Pécs. Die Temperaturen liegen bei gut 20 Grad und das Semester neigt sich dem Ende zu - es ist die Zeit gekommen, die Ernte einzufahren. Die Klausuren im Verfassungsrecht, Bürgerlichen Recht und Landeskunde sind schon geschrieben, Sachenrecht folgt am Montag.
Über die Juristen habe ich mich schon ganz schön gefreut. Deutsche Falllösungsmethodik, Gutachtenstil und Abstraktionsprinzip scheinen nun endlich zu sitzen. Wir haben uns die ersten Wochen so schwer damit getan, und jetzt formulieren sie schließlich doch noch einwandfrei.
Am meisten Freude habe ich bei der Bewertung "Prima Arbeit, glatte 5" ( was hier allerdings die Bestnote ist )!
Der Hammer ist allerdings mein Landeskundekurs bei den Germanisten! Ich habe mich am Anfang so oft über sie und ihre mangelhaften Fähigkeiten geärgert, dass ich sie schon abgeschrieben hatte. Und siehe da, kaum sind Politik, Geschichte und Soziales abgehakt, tauen sie langsam auf.
Sie sprechen von Woche zu Woche deutlich besser, was kein Wunder ist, denn sie haben jeden Tag Aussprache-, Grammatik- und Konversationskurse. Seit drei Wochen sitzen wir nur noch im Kreis, malen Plakate und diskutieren über alle möglichen Themen anhand von Fotopostkarten, die ich in Massen aus dem Internet ziehe.
Und dann werden sie ganz zutraulich, erzählen Dir von ihren Wünschen, Zukunftsplänen, Träumen, und Du hast das Gefühl, ihnen ganz nahe zu sein. Die großen, verängstigten Augen aus ihren ersten Wochen in der neuen Welt der Universität sind verschwunden, sie werden souveräner, frecher und diskussionsfreudiger.
Das ändert nichts daran, dass ein großer Teil von ihnen es nicht einmal zur Grundprüfung schaffen wird. Ihre guten Dorfschulabschlüsse haben ihnen oft nur die Illusion eines Hochschulabschlusses vermittelt. Das ungarische Hochschulsystem wird sie nicht fragen, ob sie Texte erörtern oder interpretieren können, es wird sie eiskalt an den Sprachprüfungen messen.
Ich begnüge mich damit, dass sie doch noch etwas aus meinem Unterricht mitgenommen haben, was folgende Beispiele aus den Klausuren hinreichend belegen:
1. zu den alliierten Besatzungszonen gehören:
"Ostdeutschland, Norddeutschland und Ruhrgebiet", was an sich ja gar nicht mal so falsch ist... :-)
2. zu den Staatsstrukturen gehören:
a) Republik, "weil das Parlament mehrere Präsidenten hat und das Staatsoberhaupt heißt Wilhelm Pieck" :-)
b) Sozialstaat, "weil sie versuchen, die soziale Unterschiede zu vergleichen" :-)
3. Unser Grundgesetz, das 1989 ausgegeben wurde
4. "Dieses Planwirtschaft ist, wenn Russland entscheidet, was man und wieviel man davon produzieren darf" ( und ich den stillen Vorwurf herauslas, warum ich UNGARISCHE Studenten im DEUTSCHEN Landeskundkurs mit SO ETWAS behelligen müsse :-)
5. Das so genannte Wirtschaftswunder:
a) "Alle Menschen lebten gleich. Jeder hatte Standheizung, es wurden Hochhäuser gebaut, Autos wurden gebaut, mehr Bahnen wurden gebaut. Aber die Menschen wollten noch mehr, aber das konnten sie nicht durchführen"
b) "Die Menschen bekommen Bäuche und sie machen Toskana - Urlaub".
6. Warum man Deutschland ein multikulturelles Land nennen kann?
Klar: "Deutschland ist ein sich schnell entwickeltes Land. Es hat sehr viele Großstädte, die die ganze Welt kennt. Es hat kulturelle Städte. Wie zum Beispiel das Ruhrgebiet was man zur kulturellen Stadt gemacht hat"
oder:"Die Kulturei ist entwickelt. In Deutschland gibt es viele Sehenswürdigkeiten. Z.Beispiel: Opernhaus, Schauspielhaus, Kulturhaus, viele Hochschule und Universität, z.B. Hochschule für Musik usw. viele Museum. Berühmt auch: Lübecker Marzipan. Viele berühmte Kirche." :-)
7. Eine der wichtigsten Einwanderungsphasen nach Deutschland war sicherlich die berühmte Imigrationswelle "der europäischen Studenten in den 70er"-Jahren. :-) Oder war es die der Russen in den 60ern während des Wirtschaftswunders?
8. Warum Deutschland nach wie vor Einwanderer braucht, ist auch glasklar: "Die Gastarbeiter arbeiten billiger als die deutschen; wenn zum Beispiel türken einwanderern, dann wird es mehr türken in einer Stadt oder strasse geben, und sie werden sich nicht fremd fühlen, und sie werden immer türken anlocken" :-)
"Sie arbeiten in Dl. aber sie bekommen keinen Versicherung und Renten
-> deshalb sind sie für Staat gut"
Ich gebe zu, dass dies sehr gemein ist, denn eigentlich habe ich nur noch drei schwarze Schafe, die mir Kopf- und Bauchmuskelzerbrechen bereiten... Insgesamt habe ich viele gute und sehr gute Arbeiten korrigieren dürfen, ich wundere mich nur manchmal, wie einige es schaffen, so wenige ( und dann noch solch falsche ) Informationen aus 90 Minuten Unterricht herauszuziehen.
Insgesamt aber die Erkenntnis: Mein Landeskundekurs, er lebt ( und lebe )!
Hurra!
phisch78 - 25. Nov, 18:20